Mittwoch, 7. September 2011

07.09.2011 - S21 - Das Geschwür S21 oder warum es ratsam ist, dass man Krebsgeschwüre im Körper eines politischen Gegners hegt und pflegt

Ich höre oft von S21 Gegnern, dass sie von den Grünen enttäuscht seien. Die Grünen hätten ja vor der Landtagswahl den Eindruck erweckt, sie würden S21 stoppen. Diesen Kritikern gehen offensichtlich die Aktivitäten der Grünen, S21 zu stoppen, nicht weit genug.
Diese Sicht der Dinge ist mir ein wenig zu undifferenziert. Die Verträge, die das Land unter der Vorgängerregierung unter Union und FDP zur Finanzierung von S21 geschlossen hat, können nicht einfach so gekündigt werden. Dies haben vor allem Unionspolitiker zur Genüge betont und ich glaube das auch. Aber im Gegensatz zu anderen S21 Gegnern sehe ich dies als ungeahnten Vorteil für die politischen Gegner von Union und FDP.
Ich würde es als katastrophalen Fehler ansehen, wenn sich die Grünen in BaWü zu weit aus dem Fenster lehnen würden und mit rechtlich zweifelhaften Aktionen bzw. Beschlüssen S21 zu stoppen versuchen. Auch Landesregierungen sind an Recht und Gesetz gebunden. Wenn nun die Verträge, die die Vorgängerregierung unter Union und FDP geschlossen haben, so hieb- und stichfest sind, dass selbst eine Regierung unter Führung der Gegner S21 verwirklichen muss, dann ist dies doch für die Grünen eine unendliche Steilvorlage, die es zu hegen und zu pflegen zu gilt. Wenn eine Landesregierung durch Verträge einer Vorgängerregierung etwas tun muss, was sie selbst gar nicht will, dann ist sie doch in einer Weise aus dem Schneider, wenn etwas schief geht, wie man es sich besser gar nicht wünschen kann.
Jedes Ungemach, das die Verwirklichung von S21 gemäß den vorliegenden Plänen mit sich bringen könnte, wird nach meiner Meinung nicht auf die Grünen fallen, es wird immer auf die Parteien der Vorgängerregierung fallen. So ein Konstrukt bezeichne ich als Krebsgeschwür im Körper einer politischen Partei, wenn es zur Folge hat, dass die Zustimmung für diese Partei im Volk abnimmt.
Warum sollte man den Parteien Union und FDP nicht glauben, wenn sie sagen, dass ein Ausstieg des Landes aus der Finanzierung gar nicht möglich ist? Das ist doch perfekt. Wenn etwas schief geht, dann kann man diese Aussage doch als eine Generalübernahme der politischen Verantwortung für dieses Projekt bezeichnen. Könnten es die Grünen noch besser haben?
Was wäre der Effekt, wenn sich im Verlauf des Baues von S21 immer mehr Probleme auftürmen würden – nahezu egal welcher Art (ob Mineralwassergefährdung, bewegter Untergrund, Verspätungen im Schienenverkehr während der Bauzeit, etc.) -?
Die Grünen müssten immer klar darstellen, dass dies aufgrund der rechtlichen Verpflichtungen, die die Regierung unter Schwarz-Gelb für das Land eingegangen ist, unvermeidbar ist. Und was hätte dies für Folgen für die Akzeptanz der Parteien Union und FDP? Der geneigte Leser kann sich die Antwort ausmalen. Um wie viel mehr würde sich die Zustimmung der Bürger zu den Grünen steigern, wenn die Grünen dann eventuell sogar noch mit klugen Problemlösungen auftrumpfen würden? Um wie viel mehr würde sich die Zustimmung für die Union und die FDP verringern, wenn immer mehr klar würde, dass die Grünen ein Chaos meistern müssen, das sie nie angerichtet haben und so nie gewollt haben?
Je mehr Union und FDP auf S21 bestehen, desto höher sehe ich die Chancen an, dass im Verlaufe der Bauzeit von S21 die Zustimmung für die grüne Partei wachsen wird.
Eine politische Partei, die erkennt, dass ihr politischer Gegner sich selbst ein Krebsgeschwür zugezogen hat, sollte alles tun, dieses Krebsgeschwür zu fördern und eine Heilung möglichst nicht unterstützen.
Wenn ich in der Überschrift sage, dass man so ein Krebsgeschwür hegen und pflegen sollte, dann meine ich damit, dass man dieses Krebsgeschwür dadurch wirksam nutzen sollte, in dem man immer und immer wieder das Volk darauf aufmerksam macht, dass eben diese politische Kraft, die mit diesem Krebsgeschwür behaftet ist, eine Haltung oder eine Entscheidung zu verantworten hat, die den Bürgern oder/und relevanten Gruppen der Gesellschaft zum Nachteil gereicht.Es ist nach meiner Auffassung vollkommen legitim, dass man Entscheidungen von politischen Akteuren, die Bürgern einen Nachteil bringen, eben diesen politischen Akteuren immer und immer wieder vorwirft und dadurch politischen Nutzen erzielt – z.B. durch schwindende Zustimmung der Wahlbürger in Wahlen zu eben diesen Akteuren.
Ein Indiz dafür, dass die Grünen in Baden-Württemberg bereits einen Vorteil aus dem Krebsgeschwür S21 ziehen, sehe ich in den Wahlumfragen in BaWü, die nach der Landtagswahl noch einmal einen sogar deutlichen Zuwachs der Zustimmung beim Wahlvolk im Ländle berechtigt vermuten lassen. (siehe http://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/baden-wuerttemberg.htm )
Ich glaube nicht, dass dieser Zuwachs in den Umfragen, der in der Tat bemerkenswert ist, alleine auf die Person von MP Kretschmann zurück zu führen ist. Und dass Fukushima ALLEINE die Wahlen für die Grünen in BaWü entschieden hat, kann ich aufgrund dieser Wahlumfragen auch nicht glauben.
Tatsächlich denke ich, dass die Haltung von Union und FDP im Zank um S21 gerade nach den Wahlen dazu führt, dass die Zustimmung zu diesen Parteien im Volke weiter schwindet. Ob ein verborgenes Kalkül von Union und FDP irgendwo im Hintergrund schlummert, kann ich bis jetzt nicht sehen. Wenn nicht, dann glaube ich, wird die Grüne Partei weiterhin Kapital aus dem Krebsgeschwür S21 schlagen können – und das fände ich persönlich gar nicht schlecht. Letztendlich kann es doch für eine Partei gar kein schöneres Ziel geben, als andere politische Gegner zu schwächen oder gar für die demokratische Machtverteilung in die Bedeutungslosigkeit zu verweisen.


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19 Kommentare:

  1. Nicht zu vergessen, auch die SPD leidet an diversen Krebsgeschwüren.
    - Klaus -

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  2. Lieber Jo,
    die Grünen haben nicht nur "den Eindruck erweckt" sie würden S21 stoppen, Herr Kretschmann hat völlig unzweideutig gesagt:

    "Falls die Grünen nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg Regierungsverantwortung tragen, werden wir die Zahlungen sofort einstellen und bereits gezahlte Beträge zurückverlangen. Mit uns wird es keine Fortsetzung des Verfassungsbruchs geben."

    Kannste gerne bei http://www.bawue.gruene-fraktion.de/cms/default/dok/361/361391.winfried_kretschmann_finanzierungsvertra.html nachlesen, und wenn die das inzwischen gelöscht haben sollten, schick ichs dir als Screenshot.

    Und, was ist am 31.8. passiert?
    Genau, es *gab* eine Fortsetzung des Verfassungsbruchs. In dem verlinkten Text der Grünen stehen auch die Argumente, warum die *Einhaltung* des Vertrags rechtlich fragwürdig ist.

    Und Herr Kretschmanns Person hat m.E. einen *sehr* hohen Anteil an der aktuelle Beliebtheit der BaWü Grünen, er ist der perfekte "gütiger Landesvater" Darsteller. In anderen Bundesländern sind die Grünen schon wieder aufm absteigenden Ast.

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  3. Marty,

    ich habe angemerkt, dass ich tatsächlich glaube, dass es wohl rechtlich nicht so einfach ist, das, was angekündigt wurde, in die Tat umzusetzen.
    Jede rechtliche Niederlage der Grünen würde ich als Nachteil werten.
    Gruß
    Jo

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  4. Die unsägliche Metaphorik der Überschrift (Krebsgeschwür, Körper) erinnert mich sehr stark an die Propaganda von ganz rechts außen. Das muss doch nicht sein.
    Wir leben in einer Demokratie, wir haben doch Argumente und Vernunft! Wir brauchen doch nicht die Metaphorik des Geschwürs zu verwenden!! Fehlt nur noch, die Gegenseite als Ungeziefer zu bezeichnen!!!

    (sorry, aber das musste ich mal loswerden, bei dieser Sprache bin ich empfindlich)

    oben bleiben!

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  5. Nichts liegt mir ferner als rechtes Gedankengut.
    Prägnante Bildsprache darf aber nicht grundsätzlich in rechts oder links eingeordnet werden. Sprache soll ein Mittel bleiben und kann nach meiner Meinung nicht grundsätzlich von der einen oder anderen Seite vereinnahmt oder gar "reserviert" werden.
    Gruß
    Jo

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  6. Im Hinblick auf künftige Wahlen oder die Parteienlandschaft generell hast Du sicherlich Recht und ich kann Deine Überlegungen nachvollziehen. Ich hoffe sehr, dass die Grünen clever genug sind, um den taktischen Vorteil zu ergreifen, den Du aufzeigst.

    Für die Verfechter von Kopfbahnhof, Park und leistungsfähigem Verkehrsknoten bietet Deine Sichtweise allerdings wenig Trost.
    Mag sein, dass die Grünen politischen Profit daraus schlagen können, wenn sie die Verantwortung für gefällte Bäume der früheren schwarz-gelben Regierung in die Schuhe schieben.

    Fakt ist aber: wenn gesunde alte Bäume erst mal gefällt sind, fallen sie als Sauerstofflieferanten und Schattenspender aus und sind zunächst - also für mehrere Jahrzehnte - nicht zu ersetzen.

    Fakt ist auch: wenn die Bäume gefällt und der große Parkabschnitt, der für den Bahnhofstrog gebraucht wird, gerodet ist, müssen die StuttgarterInnen auf ein Naherholungsgebiet verzichten, das vielen tausend Menschen bisher so etwas wie eine Zufluchtsstätte mitten in der Stadt geboten hat.

    Und wenn dann irgendwann die Geldquellen versiegen, weil auch der letzte Projektpartner keine Lust mehr hat, weiterhin Geld in ein Fass ohne Boden zu werfen, dann müssen die StuttgarterInnen mit einer riesigen Baugrube mitten in der Stadt leben, mit täglichem Chaos, mit einem nicht mehr funktionierenden Verkehrsknoten und mit all den Randerscheinungen, die sich einstellen, wenn die Attraktivität einer Stadt schwindet.

    Vor diesem Hintergrund kann es mich wenig trösten, dass die Grünen vielleicht davon profitieren ...

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  7. Es ist mir klar, dass meine Betrachtung in dem Artikel KEIN Trost für die S21 Gegner sein kann.
    Das Ziel an sich wird auch für mich bleiben, S21 zu stoppen.
    Ich glaube allerdings, dass es für eine Einsicht von Seiten der Befürworter nie zu spät ist.
    Bis jetzt sieht es zwar so aus,als ob die Hoffnung darauf nicht sehr groß ist - aber das könnte sich ja eventuell noch ändern.
    Gruß
    Jo

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  8. @Jo:
    Klar wäre eine Niederlage schlecht. Aaaber: die käme (wenn überhaupt!) in *frühestens* 5 Jahren, wenn BVG und/oder EUGH die Nummer abschliessend geklärt hätten. Bis dahin wäre die Ansage der grüngeführten Landesregierung: "Wir halten uns an unser Wahlversprechen, wir beenden unsere Beteiligung an dieser illegalen, weil verfassungswidrigen Baumassnahme." Und so eine Äusserung hätte natürlich auch nen Einfluss auf die VA. Stattdessen betreiben die Grünen nach eigener Aussage hier munter den Verfassungsbruch. *Das* ist Munition für den politischen Gegner.

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  9. @Anonym:
    Wenn er *Menschen* als Krebsgeschwür bezeichnet hätte, würde ich dir recht geben. Aber ein Immobilienprojekt?

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  10. Marty,
    grundsätzlich richtig. Aber die Bahn hat eine Baugenehmigung. Die müsste dann eingefroren werden.
    Und die Umfragen in BaWü sprechen doch bzgl. Grün eine andere Sprache.
    Gruß
    Jo

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  11. @Jo:
    Nö, wenn die (Teil-)baugenehmigung mit der VERFASSUNG kollidiert, kann der Grube sie sich wo hinschieben, wo die Sonne nicht scheint. Die hat dann den gleichen Wert wie Altpapier. Der Altpapierpreis is zwar mit 87,50 Euro pro Tonne gerade auf Rekordniveau http://www.infranken.de/nachrichten/lokales/bad-kissingen/Altpapierpreise-auf-Rekordniveau;art211,147590 aber sone Genehmigung wiegt ja nich viel. Selbst bei 1Kg würde er gerade mal 10 Cent kriegen...

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  12. Marty,
    aber bis die Genehmigung als verfassungswidrig abgeurteilt wurde, ist sie doch gültig! Das ist doch das Problem.
    Gruß
    Jo

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  13. @Jo:
    Selbst wenn die gültig ist, verpflicht das die Landesregierung nicht, ein verfassungswidriges Projekt finanziell zu unterstützen. Und selbst, wenn sie es täte, müsste die Bahn das erstmal einklagen. Durch sämtliche Instanzen. Bis da ne *endgültige* Entscheidung vorliegt, ob und wieviel das Land zahlen muss, dauerts etliche Jahre. Die Volksabstimmung ist aber in 2 Monaten, und durch die verfassungwidrige Zahlung der Landesregierung *wirkt* es, als ob die Bahn im Recht und die K21-Befürworter sture Nervensägen wären. Was natürlich, wie wir 1. aus der verlinkten Pressemitteilung der Grünen und 2. aus eigener Anschauung wissen, beides nicht stimmt.

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  14. Marty,
    aber die Entscheidung,OB die Finanzierung verfassungswidrig ist, steht doch aus. Wenn die Landesregierung jetzt so handelt als ob die Finanzierung verfassungswidrig ist und am Ende kommt ein Urteil, dass dem nicht so ist, dann steht die Regierung im Wald.
    Dann könnte der Schaden (auch der politische für die Grünen) erheblich sein.
    Würdest du mir da Recht geben?
    Gruß
    Jo

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  15. Eindeutig Ja.

    Aaaaber (wieder mal ;)
    Das dieser Schaden, der ja nur ein hypothetischer und auch noch in ferner Zukunft liegender ist und den somit wohl die nächste Landesregierung ausbaden müsste, den *aktuellen* Schaden, nämlich *jetzt* als Verfassungsfeind und Lügner dazustehen, überwiegt, das bezweifle ich.

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  16. Marty,
    diese deine Sicht ist berechtigt. Ich halte aber folgendes dagegen:
    Die aktuellen Umfragen in BaWü zeigen nicht an, dass dieser Schaden Auswirkungen auf die Akzeptanz der Grünen hat (die Umfragen zeigen eher das Gegenteil).
    Damit würde ein Vorpreschen der Grünen (im Vorgriff auf ein Urteil) ein höheres Risiko darstellen. Demgegenüber steht die Chance, durch die Zwänge der Verträge und eventuellen Folgen des Baus von S21 und den damit eventuell real werdenden Unmutsursachen (und in Konsequenz der Darlegung, dass dies die früheren Regierungsparteien zu verantworten haben), noch mehr Akzeptanz im Wahlvolk zu erheischen. Diese Chance sehe ich sogar über die Landesebene hinaus.
    Was würdest du als Parteitaktiker vorziehen?
    (Mir ist klar, dass die Frage ein wenig unfair ist, da du dich wahrscheinlich nicht in die Rolle des Parteitaktikers begeben willst - was ich auch ein wenig verstehe - aber tu es aus Argumentationsgründen doch mal)

    Gruß
    Jo

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  17. Die Logik ist schön, aber wenn man sich ansieht, wie Regierungen Verträge brechen - etwa beim Euro - und dafür auch ein höchstrichterliches Plazet erhalten, kann man nur sagen:

    Wer Verträge einhält, der tut das, weil er sie einhalten will. Denn sonst würde er sie brechen.

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  18. EJR
    Es könnte aber auch ganz anders sein.
    Wenn unter GRÜN S21 gebaut wird und die ersten Schäden auftreten, werden die SPD, CDU und FDP folgende Argumentation benutzen:
    Ihr GÜNEN habt trotz besseren Wissens (auf das ihr zu Recht immer verwiesen habt) den Bau am Ende doch zugelassen und den Widerstand gegen uns viel zu schnell aufgegeben. Deshalb seid Ihr diejenigen, die das jetzige Desaster S 21 in vollem Umfang zu vertreten habt! Wir wurden ja bekanntermaßen von der DB über Jahre hinweg gezielt getäuscht und wussten es nicht besser.

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  19. @gorres:
    Also diese Haltung finde ich nicht ganz korrekt.
    Dann haben Verträge ja jeden Sinn verloren.

    @anonym:
    Mehl ehrlich: Wie würde so eine Argumentation denn auf das Wahlvolk wirken?
    Gruß
    Jo

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