Dienstag, 19. Juli 2011

19.07.2011 - S21 - Demonstrationen – ihr Zweck, ihre Grenzen und ihre Sinnentleerung

Eine Betrachtung zu Zweck, Grenzen und Sinnentleerung von Demos.

1. Zweck
Friedliche Demonstrationen und das in westlichen Demokratien verbriefte Recht darauf, sind ein Ausdruck einer zivilisatorischen Leistung. Das Recht, zu demonstrieren, soll den Willen derer kanalisieren und in zivilisierte Bahnen lenken, die mit einer Entscheidung, einem Vorgang oder ganz allgemein mit einem Sachverhalt nicht einverstanden sind.
Die aktiven Teilnehmer an einer friedliche Demo bringen durch ihre Teilnahme ihre zustimmende Einstellung zu dem Ziel der friedlichen Demo zum Ausdruck.
Die zivilisierte Kanalisation eines Widerstandes mittels friedlicher Demonstrationen setzt aber nicht nur bei denen eine zivilisatorische Leistung voraus, die GEGEN etwas sind. Der Sinn von friedlichen Demonstrationen setzt auch eine zivilisatorische Leistung bei den Adressaten des Protestes aber auch bei den darüber berichtenden Medien voraus. Wenn die Adressaten des Protestes oder die berichterstattenden Medien eine Geringschätzung der Protestierenden auch nur andeuten, dann ist eine wesentliche zivilisatorische Leistung von dieser Seite nicht erbracht und der Zweck einer friedlichen Demo in Frage gestellt.
Dass eben diese Wertschätzung der Demonstranten ein wesentlicher Bestandteil eines friedlichen Widerstandes ist, darf nicht unterschätzt werden.
Wenn diese Wertschätzung und in unmittelbarer Folge auch die Auseinandersetzung der Adressaten mit den Argumenten der friedlich Demonstrierenden nicht in angemessener Weise erfolgt, dann verliert das Instrument Demonstration seinen zivilisatorischen Zweck.
Protest ist in lange vergangenen Zeiten auch schon anders materialisiert. Die Ermordung von Julius Cäsar durch Brutus und eine Gruppe von römischen Senatoren kann auch als eine Art von „Protestäußerung“ aufgefasst werden. Der Weg von dieser Art von Protest zur friedlichen Demonstration war lang und zäh. Umso wichtiger ist es, dass beide Seiten einer Auseinandersetzung sich auch immer ihrer Vorbildfunktion für die Gesellschaft als Ganzes bewusst sind. Unterlässt eine der Parteien diese zivilisatorische Leistung, dann hat dies zumindest mittelfristig einen fragwürdigen Einfluss auf die gesamte Gesellschaft.
Der Erfolg bzw. die Erfüllung des Zweckes einer friedliche Demo hängen aber nicht nur von eben dieser gemeinschaftlichen zivilisatorischen Leistung der Beteiligten ab.
Aus Sicht beider Parteien ist die Zahl der Teilnehmer an einer friedlichen Demo ein entscheidendes Indiz dafür, welchen Stellenwert man einem Widerstand gegen einen bestimmten Sachverhalt zumessen muss.
Es ist offensichtlich, dass eine friedliche Demo mit 100 Teilnehmern (wenngleich auch so eine Demo ihren rechtmäßigen Stellenwert besitzt) weniger Aufmerksamkeit erzeugt wie eine mit 10000 oder gar 100000 Teilnehmern.
Nicht aber auf den ersten Blick scheint klar zu sein, dass die Zahl der Teilnehmer an einer friedlichen Demo auch ein direkter Hinweis an die Adressaten ist, mit welchem Gewicht sie den jeweils friedlichen Demonstranten ihre Wertschätzung zu teil werden lassen müssen.


2. Grenzen

Friedliche Demonstrationen bzw. die Anstrengungen eines Widerstandes, Bürger zur Teilnahme an friedlichen Demos zu motivieren, unterliegen bestimmten Grenzen. Lokale Interessensgrenzen aber auch Verständnisgrenzen für den Protest sind wohl die wichtigsten Grenzen, die hier zu nennen sind.

2.1. Lokale Interessensgrenzen
Es ist offensichtlich , dass stark mit Lokalkolorit behaftete Themen nicht gleich eine ganze Nation zu einer Demo motivieren können. Letztendlich sind hier die Adressaten ja wohl auch eher lokal fixiert. Nichtsdestotrotz enthebt dies die Adressaten nicht von der Pflicht, den friedlichen Demonstranten die gleiche Wertschätzung zu Teil werden zu lassen, die die Demonstranten mit ihrer Form des friedlichen Protestes letztendlich der gesamten Gesellschaft zu Teil werden lassen.
Bei Interessensgrenzen kann es zu dem Phänomen kommen, dass vermeintlich lokalkoloriert motivierte friedliche Demos an die zweite Grenze stoßen, die Verständnisgrenze

2.2. Verständnisgrenzen
Nicht jeder Bürger ist grundsätzlich bereit, sich mit allem Möglichen, das einen Widerstand von Gruppen herausfordern kann, zu beschäftigen. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Menschen individuell sind.
Der Erfolg der Motivation von Bürgern „gegen etwas zu sein“ und sie gar zur Teilnahme an einer friedlichen Demo zu bewegen, hängt zu einem großen Teil von der Anstrengung der Widerstandsgruppen zur Information der Bürger ab. Aber auch der Erfolg dieser Anstrengungen findet seine natürliche Grenze in einerseits der Bereitschaft von Bürgern, sich mit der jeweiligen Problematik zu beschäftigen und andererseits aber auch von den intellektuellen Vorraussetzungen des jeweiligen Individuums, das Problemfeld des Widertandsthemas tatsächlich zu verstehen bzw. die individuelle Wichtigkeit zu erkennen.

3. Sinnentleerung
Wie dargestellt sind friedliche Demos eine zivilisatorische Leistung. Den friedlich Demonstrierenden, die diese Leistung erbringen, muss von Seiten der Adressaten ebenfalls eine entsprechende zivilisatorische Leistung entgegengerbacht werden.
Wird diese Leistung nur einseitig erbracht, dann ist der zivilisatorische Sinn der Leistung an sich in Frage gestellt – der Sinn von Demos geht also verloren.
Wenn friedlich Demonstrierende realisieren müssen, dass ihre Leistung nicht entsprechend gewürdigt wird, dann werden diese Demonstranten entweder resignieren oder die Bereitschaft, diese Art des zivilisierten Protestes zu erbringen, überdenken.
Eine Mindestleistung der Adressaten eines friedlichen Protestes (aber auch und gerade der berichterstattenden Medien) muss sein, dass sie die friedlich Demonstrierenden entsprechend wertschätzen. Abwertende Wortwahl in Veröffentlichungen, Berichten und Diskussionen sind zu unterlasen – sie zeugen von minderer Kulturfähigkeit.
Wortentgleisungen jeder Art , gerade von gewählten Volksvertretern bzw. von durch demokratisch gewählten Gremien eingesetzten Amtsträgern, sind ein direkter Hinweis auf mindere zivilisatorische Leistungsfähigkeit der sich so Äussernden.
Den Versuch von Demonstrationsadressaten, friedlich Demonstrierende gar zu diskreditieren (leider gibt es viel zu viele psychologische Tricks, mit denen man Bürger, ohne dass sie es merken, manipulieren kann), kann ich nur als Totalkapitulation, sich argumentativ mit den Protestierenden auseinander zu setzen, werten. Dass dies einem totalen Versagen auf zivilisatorischer Ebene gleich kommt, liegt wohl auf der Hand.
Da diese Methoden aber durchaus zum Erfolg führen können, darf es nicht verwundern, wenn die Protestierenden die gleiche Art von Mitteln wählen. Eine Entkultivierungsspirale kann somit in Gang gesetzt werden, die im Extremfall zu sehr viel Unbill und Leid führen kann.
Eine wirkliche Kulturleistung der Adressaten eines Widerstandes stellt die Bereitschaft dar, den Gegenstand des Widerstandes vollkommen entscheidungsoffen mit den Gegnern zu diskutieren. Diese Art von Leistung würde dem Adressaten des Widerstandes eine außerordentliche Kulturfähigkeit bezeugen. Die Bereitschaft, sich zwar mit den Gegnern auseinander zu setzen aber keine Revidierung einer Entscheidung zu zu lassen, kann nur als Verhöhnung der mit friedlichen Demos in Vorleistung gegangenen Demonstranten gewertet werden. Es ist nichts weiter als eine Scheinleistung, die friedliche Demos sinnentleert.
Es steht außer Frage, dass auch „Gesetzestreue“ eine Kulturleistung darstellt. Wenn aber Adressaten von argumentativ berechtigten Protesten das Schlagwort „Gesetzestreue“ als Schild benutzen, um sich der Leistung, die notwendig ist, um Demonstrationen ebenfalls zur Kulturleistung zu erheben, zu entziehen, dann sehe ich darin nur den „bequemen“ Weg. Eine für zivilisierte Gesellschaften charakteristischen Weg der Konfliktbewältigung kann ich darin nicht entdecken – und damit auch keine echte Kulturleistung.

Zusammenfassend ist zu bemerken, dass friedliche Demos niemals eine einseitige Angelegenheit sein dürfen, wenn man sie als Kulturleistung bezeichnen will. Beide Seiten, die friedlich Demonstrierenden wie auch die Protestadressaten haben eine gesellschaftliche Verantwortung. Die Demonstrierenden haben die Verantwortung, dass sie ihren Protest angemessen und friedlich zu Gehör bringen. Die Protestadressatenseite dagegen muss ihrer Verantwortung durch Wertschätzung der Demonstrierenden und die Bereitschaft zur ergebnisoffenen Erörterung des Protestgegenstandes gerecht werden. Nehmen die Protestadressarten diese Verantwortung nicht wahr, dann werden Demos sinnentleert und die friedlich Demonstrierenden, die ja letztendlich in eine kulturelle Vorleistung gegangen sind, um die verdiente Wertschätzung und die Chance auf das Erreichen ihrer Ziele betrogen.






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1 Kommentar:

  1. Das ist einer des besten Aritkel, die ich je im Internet gelesen habe - und ich lese sehr viel.
    Danke.

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